La donna del lago / The Possessed

Der unzufriedene Schriftsteller Bernard kehrt in das kleine italienische Dorf zurück, das er oft als Rückzugsort nutzt. Er hat ein Ziel vor Augen: sich wieder mit der schönen Tilde zu treffen, von der er besessen ist. Er ist niedergeschlagen, als Enrico, der das örtliche Hotel leitet, ihm mitteilt, dass Tilde im vergangenen Jahr gestorben ist, ein offensichtlicher Selbstmord. Der örtliche Fotograf glaubt jedoch nicht, dass es Selbstmord war und schickt Bernard auf eine Suche, die zum Mörder des Mädchens führen könnte…

La donna del lago fühlt sich stark danach an, was einen richtigen Giallo nach Michelangelo Antonioni ausmacht. Natürlich hatte sich der Meister der filmischen Langeweile bereits seit L’avventura (Die mit der Liebe spielen, 1960) mit dem filone beschäftigt und würde dies mit seinem Meilenstein Blow Up (1966) erneut tun, doch keiner der Filme würde wirklich nach den Grundregeln des „Genres“ spielen. Die Regisseure Luigi Bazzoni und Franco Rossellini tendierten eher dazu nach festgelegten Regeln zu denken und/oder zu handeln, weswegen der Film immer noch sehr im Stil eines seriösen, künstlerisch geprägten Kinos angelegt ist. Ob das nun etwas Gutes bedeutet oder nicht, hängt unweigerlich vom Geschmack der Zuschauer ab. Das Drehbuch wurde von Bazzoni und Rossellini in Zusammenarbeit mit einem jungen Giulio Questi geschrieben, einem der empörendsten experimentellen italienischen Filmemacher dieser Ära. Er sollte mit La morte ha fatto l’uovo (Die Falle, 1968) sogar einen eigenen Giallo inszenieren. Oberflächlich betrachtet ist die Geschichte ziemlich einfach gestrickt: Ein Autor untersucht den Tod einer Frau anhand verschiedener Hinweise, bis er zu einer logischen Schlussfolgerung kommt. Bazzoni, Rossellini und Questi verkomplizieren die Dinge jedoch, indem sie die Grenze zwischen Fantasie und Realität verwischen lassen.

Editor Nino Baragli (dessen herausragende Filmografie zahlreiche von Sergio Leone und Pier Paolo Pasolini inszenierte Filme umfasst, darunter Spiel mir das Lied vom Tod und Die 120 Tage von Sodom) verwendet einen elliptischen Stil, der es schwierig macht zu antizipieren, wann der Protagonist in seiner Traumwelt verloren ist und wann er tatsächlich in „Echtzeit“ einen neuen Hinweis findet. Die kontrastreiche Schwarz-Weiß-Kinematografie von Leonida Barboni (mit Sergio Salvati, der später viele der besten Lucio Fulci Streifen als assistierender Kameramann fotografieren würde) tragen zur Traum-Atmosphäre bei. Co-Regisseur Luigi Bazzoni wurde 1929 geboren und begann Ende der 50er Jahre als Regieassistent zu arbeiten. Er drehte 1963 seine ersten Kurzfilme als Regisseur und The Possessed sollte sein erster Spielfilm werden. Er führte Regie beim stilvollen Giallo Giornata nera per l’ariete (Ein schwarzer Tag für den Widder, 1971) sowie beim künstlerischen Psychothriller Le orme (Spuren auf dem Mond, 1975). Letzterer wird oft als Giallo eingestuft, hält sich aber nicht genau genug an die Genrekonventionen, um sich zu qualifizieren.

Trotz des offensichtlichen Talents, das in seiner Arbeit zum Ausdruck kam, nahm seine Regiekarriere nie wirklich Fahrt auf und er verbrachte den letzten Teil seiner Karriere damit, Dokumentarfilme zu drehen. Er starb im Jahr 2012. Co-Regisseur Franco Rossellini wurde 1935 geboren. Der Neffe des legendären Filmemachers Roberto Rossellini war in erster Linie Produzent. Zu seinen Verdiensten gehörten Pier Paolo Pasolinis Teorema (Teorema – Geometrie der Liebe, 1968) und Il Decameron (Decamerone, 1971) sowie Federico Fellinis La città delle donne (Fellinis Stadt der Frauen, 1980). La donna del lago repräsentiert seinen einzigen Kredit als Regisseur. Sein Vater, Renzo Rossellini, komponierte die Musik für den Film. Franco Rossellini starb 1992 an den Folgen von AIDS. Es ist wahrscheinlich, dass Bazzoni und Rossellini das Drehbuch zusammen entwickelt haben. Bazzoni sollte einige der gleichen Stilmittel und Erzähltechniken später in Spuren auf dem Mond implementieren und angesichts der Tatsache, dass er weiterhin als Regisseur tätig sein würde, während Rossellini dies nicht tat, scheint es wahrscheinlich, dass er der Hauptautor des Films war.

Die Besetzung wird vom amerikanischen Schauspieler Peter Baldwin in der Rolle des Bernard angeführt. Baldwin wurde 1931 geboren und debütierte 1952 auf der Leinwand. In den 60er Jahren wagte er sich nach Italien, wo er eine ganze Reihe von Filmen drehte, darunter Riccardo Fredas Gothic-Thriller Lo spettro (The Ghost, 1963) mit Barbara Steele, aber Mitte des Jahrzehnts tendierte er mehr zur Regie. Er sollte zwar noch im Giallo Concerto per pistola solista (Konzert für eine Pistole, 1970) auftreten, konzentrierte sich jedoch mehr auf die Regie von Sitcoms wie The Dick Van Dyke Show und Sanford and Son. Seit Anfang der 2000er Jahre befindet er sich im Ruhestand. Baldwins eindimensionale Darstellung von Bernard kann als Achillesferse des Films bezeichnet werden. Er bläst Trübsal mit immer demselben Gesichtsausdruck, ob er sich nun nach der verlorenen Tilde sehnt, die Interaktionen zwischen anderen Leuten im Dorf beobachtet oder unter den Folgen einer schlimmen Grippe leidet. Das macht es unmöglich, sich wirklich um den Charakter zu sorgen, was dem Film definitiv nicht gut tut. Er war weitaus effektiver als Barbara Steeles Liebhaber in Lo spettro, was vermuten lässt, dass er sich einfach nicht auf der gleichen Wellenlänge befand, wie Bazzoni und Rossellini.

Tilde wird von der hinreißenden Virna Lisi (geb. 1936) verkörpert, die sich mitten in einer Kampagne befand, um sie in die neueste italienische Sexgöttin zu verwandeln. Lisis Karriere startete nie so durch, wie zum Beispiel die von Sophia Loren, allerdings hatte sie einen ziemlich guten Lauf während der 60er Jahre und trat mit Jack Lemmon in How to Murder Your Wife (Wie bringt man seine Frau um?, 1965) und mit Marcello Mastroianni in Casanova ’70 (1965) auf. Sie ist bis heute im italienischen Fernsehen und Film aktiv. Lisi hat in The Possessed nicht richtig viel zu tun, wenn überhaupt, stellt sie eher ein Fetischobjekt dar, als einen vollwertig entwickelten Charakter. Der großartige Salvo Randone stiehlt mit Leichtigkeit die Show als freundlicher Hotelier mit einem Geheimnis. Randone wurde 1906 geboren und trat in den 40er Jahren in die Filmbranche ein. Er machte unvergesslichen Eindruck in solch beeindruckenden Klassikern wie Francesco Rosis Salvatore Giuliano (Wer erschoss Salvatore G.?, 1962), Fellinis Satyricon (1969) von Federico Fellini und Elio Petris Indagine su un cittadino al di sopra di ogni sospetto (Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger, 1970), unterstützte aber auch den stilvollen Giallo Mio caro assassino (My Dear Killer, 1972) mit seiner Anwesenheit. Randones Präsenz gestaltet sich kraftvoll aber liebenswert, was ihn in vielen Filmen zu einer idealen Vaterfigur machte. Hier ist er ideal besetzt und revanchiert sich mit einer feinen Leistung, die dazu beiträgt das Vakuum Mitte des Films zu kompensieren. Er starb 1991.

Seine ergebene Tochter wird von Valentina Cortese gespielt, die bereits in Mario Bavas La ragazza che sapeva troppo (The Girl Who Knew Too Much, 1963) mitwirkte und für Riccardo Fredas ordinären L’iguana dalla lingua di fuoco (Die Bestie mit dem feurigen Atem, 1971) zum Giallo zurückkehren würde. Cortese spielte in einigen Filmen ziemlich over-the-top, doch hier hält sie sich sehr zurück. Philippe Leroy macht als Randones schlecht gelaunter Sohn Mario auch mit. Leroy wurde 1930 geboren und gab ein beeindruckendes Debüt als einer der Hauptdarsteller in Jacques Beckers klassischem Ausbruchsthriller Le trou (Das Loch, 1960). Er würde den Helden im italienischen Gothic-Thriller Il castello dei morti vivi (The Castle of the Living Dead, 1964) mit Christopher Lee und (in seinem Filmdebüt) Donald Sutherland spielen und trat auch in Tinto Brass‘ bizarrem Italo-Western Yankee (1966) auf. Außerdem spielte er in Piero Schivazappas stilvoller S/M-Fantasie Femina ridens (The Frightened Woman, 1969), Fernando Di Leos Milano calibro 9 (Milano Kaliber 9, 1972) und Liliana Cavanis umstrittenen Il portiere di notte (Der Nachtportier, 1974). In jüngster Zeit konnte man ihn als Alchemist in Dario Argentos heiß diskutiertem La terza madre (Mother of Tears, 2007) sehen. Zu seinen Giallo-Einträgen zählen Senza via d’uscita (Devil’s Ransom, 1970) und Circle of Fear (Wendekreis der Angst, 1992).

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Regisseur(e): Luigi Bazzoni, Franco Rossellini
Format: PAL
Anzahl Disks: 1
FSK: Nicht geprüft
Studio: Arrow Video
Spieldauer: 85 Minuten

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Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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