Dark Glasses – Blinde Angst / Occhiali Neri / Black Glasses

Schrecken macht sich breit, als eine brutale Mordserie das sommerliche Rom in Atem hält: Ein bestialischer Killer hat es auf Edelprostituierte abgesehen, die er mit einer Cellosaite stranguliert. Als die Sexarbeiterin Diana in sein Visier gerät, überschlagen sich die Ereignisse. Bei dem verzweifelten Versuch, dem Mörder zu entkommen, gerät sie in einen schweren Verkehrsunfall, bei dem sie ihr Augenlicht verliert. Außer ihr überlebt lediglich der junge Chin, dessen Eltern bei dem Unfall sterben. Während Diana sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt, stellt ihr der Killer weiter nach. Gemeinsam mit Chin und ihrem Blindenhund nimmt Diana den ungleichen Kampf mit dem brutalen Psychopathen auf. (Pierrot Le Fou)

Richtige Spoiler wird es hier nicht geben, doch bei einigen Observationen sollte man eventuell Vorsicht walten lassen !!!

Es ist ein Spiegelbild dessen, wie tief die Qualität der jüngsten Filme von Dario Argento gesunken ist, dass Neuigkeiten über einen weiteren Film routinemäßig mit Zynismus und abfälligem Spott abgestraft werden. Fantum stellt eine sehr unbeständige Sache dar, wobei sich der Grat zwischen Bewunderung und Verachtung letztendlich als ziemlich schmal erweist. Viele Kritiker sind der Meinung Dario Argento habe nach Opera (Terror in der Oper, 1987) seine Magie verloren. Dabei gibt es von ihm bis in die frühen 2000er Jahre einiges zu mögen oder wenigstens zu schätzen … wobei sein letztes großes Feature wohl La sindrome di Stendhal (Das Stendhal Syndrom, 1996) bleibt, das jetzt bereits mehr als 25 Jahre auf dem Buckel hat. In Bezug auf Argentos neuere Bemühungen könnte man Pelts (2009) für ein kühnes Juwel in Kurzform halten. Ein Fan zu sein sollte jedoch niemals mit blinder Anbetung gleichgesetzt werden, weswegen wir hier auch kein Problem damit haben, seine Werke an den Stellen zu kritisieren, an denen wir es für gerechtfertigt halten. Beginnend mit La terza madre (Mother of Tears, 2007) gestalteten sich die letzten Filme für uns schrecklich enttäuschend.

Man kann schon irgendwie nachvollziehen, warum einige den bizarren und/oder gar verrückten Charme von Mother of Tears mögen, doch für uns fehlt dem Streifen alles, was Suspiria (1977) und Inferno (1980) so besonders gemacht hat. Der Film ist als plump, schwerfällig und banal zu bezeichnen, doch Giallo (2009) und Dracula 3D (2012) haben noch Schlimmeres auf Lager. Beide Streifen werden sicherlich ihre Bewunderer haben, wir gehören allerdings nicht dazu. Ersterer kann teilweise vielleicht noch aufgrund von Eingriffen in der Postproduktion und Schikanen hinter den Kulissen (die nichts mit Argento zu tun hatten) entschuldigt werden. Giallo ist an und für sich als nicht richtig plump zu beschreiben, aber als uninspiriert sowie anonym, während der Film mächtig unter Adrian Brodys zentraler Vorstellung leidet. Was Dracula 3D angeht, nun ja… dazu gibt es nichts mehr zu schreiben, denn abgesehen von einem großartigen set piece und ein paar schönen Bildern ist der Flick ein einziges Durcheinander.

Was uns nun zu Occhiali Neri (Dark Glasses – Blinde Angst, 2022) führt, einen giallo, der nach zehnjähriger Pause Argentos Rückkehr auf den Regiestuhl markiert. Zugegebenermaßen hatten wir nicht geglaubt, dass er nach so langer Zeit noch einmal einen Film auf die Beine stellen würde. Die entscheidende Frage dabei ist, hat sich das Warten denn auch wirklich gelohnt? Wahrscheinlich hängt das sehr stark davon ab, was man in den letzten 30 Jahren von Argentos Werken gehalten hat. Sollte man der Überzeugung sein, dass ab Due occhi diabolici (Two Evil Eyes, 1990) nichts mehr von großer Bedeutung ist, wird auch mit Occhiali Neri nichts anfangen können. Glaubt man allerdings in dieser späteren Phase seiner Karriere sei auch etwas Annehmbares zu finden, könnte man eventuell Grund zur Freude haben. Man könnte vielleicht sogar so weit gehen zu behaupten, dass es sich um Argentos besten Film seit Das Stendhal Syndrom handelt, obwohl man diesen Punkt noch ein wenig mehr erläutern müsste. Sollte man Il cartaio (The Card Player, 2003) und/oder Non ho sonno (Sleepless, 2001) mögen, so wird einem Occhiali Neri wahrscheinlich genauso gut gefallen. Wenn man mit diesen beiden Streifen jedoch nichts anfangen kann, nun … dann sollte man eher seine Finger von Argentos neuestem Werk lassen.

Was uns am meisten überrascht hat, ist, wie ökonomisch sich der Film gestaltet, denn mit 86 Minuten Laufzeit stellt er Argentos kürzestes Feature überhaupt dar. Die Geschichte mag ziemlich dünn erscheinen, aber thematisch hat sie viele interessante Punkte zu bieten. Sie handelt von Charakteren, die isoliert und abgeschnitten in einer Welt leben, die nur sehr wenig Mitgefühl für sie bereithält und im Zentrum von allem dennoch Empathie sowie Wärme für seine Hauptfiguren an den Tag legt. Occhiali Neri ist Argentos erster Film seit Le cinque giornate (Die Halunken, 1973), der auf Italienisch gedreht wurde, sodass sich die Dialoge natürlicher anhören und die Schauspieler entspannter wirken. Außerdem profitiert der Film auch von einem größtenteils neuen Team junger Mitarbeiter. Matteo Cocco steuert eine schöne Kinematografie bei, während Arnaud Rebotinis hämmernder Soundtrack einen großen Pluspunkt repräsentiert.

Der Film wurde schnell und billig abgedreht, fühlt sich dadurch allerdings nicht kompromittiert an. Nach dem oftmals harschen und hässlichen Aussehen von Draculas digitaler Grafik, hat Occhiali Neri eine weitaus angenehmere visuelle Ästhetik zu bieten. Man erwarte kein Profondo Rosso (1975) oder Tenebrae (1982), erlaube sich aber, den Film für das zu genießen, was er ist und man wird angenehm überrascht sein. Der Streifen präsentiert sich an manchen Stellen auch ziemlich brutal, was die sogenannten „Gorehounds“ ein wenig besänftigen wird … entscheidend ist jedoch, dass sich Occhiali Neri nicht so anbiedernd anfühlt wie Mother of Tears. Die Gewalt hat einen fiesen und realistischen Touch verpasst bekommen, der weitgehend mit dem verzweifelten (aber nicht hoffnungslosen) Weltbild des Films übereinstimmt. Im Großen und Ganzen ist auch die Effektarbeit als gut zu bezeichnen.

Es gibt visuelle und thematische Verbindungen zu allem von Opera über Il gatto a nove code (Die neunschwänzige Katze, 1971) bis hin zu Suspiria und darüber hinaus, wobei es sich nicht nur um nüchterne Selbstreflexion handelt. Obwohl der Film oberflächlich betrachtet recht unbedeutend erscheint, erweist er sich hier und da doch unerwartet bewegend und verwandelt sich in der zweiten Hälfte recht effektiv in einen unerbittlichen Verfolgungsfilm. Der Aspekt des Rätsels ist dabei enorm vernachlässigbar, da Argento nicht so sehr daran interessiert zu sein scheint ein whodunit auszuspielen, während er lieber die Ängste und Neurosen seiner Charaktere erforscht. Bei Occhiali Neri handelt es sich keineswegs um einen von Argentos wirklich großartigen Filmen – doch nach einer ganzen Reihe an miesen Flicks könnte er dem einen oder anderen schon ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern.

Bonusmaterial:

  • Audiokommentar von Filmwissenschaftler Prof. Dr. Marcus Stiglegger –> ist sehr unterhaltsam, informativ sowie aufschlussreich eingesprochen worden
  • Videobotschaft von Regisseur Dario Argento
  • Behind the Scenes
  • Trailer
  • 24-stg. Booklet mit einem Text von Stefan Jung und einem Interview mit Dario Argento –> beides äußerst interessant sowie informativ
  • Exklusives Poster

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  • Seitenverhältnis: ‎16:9 – 2.35:1
  • Alterseinstufung: Freigegeben ab 18 Jahren
  • Regisseur: ‎Argento, Dario
  • Medienformat: Breitbild
  • Laufzeit: ‎1 Stunden und 26 Minuten
  • Darsteller:‎ Pastorelli, Ilenia, Argento, Asia, Zhang, Xinyu, Gherpelli, Andrea
  • Untertitel: ‎Deutsch
  • Studio: ‎Pierrot Le Fou

Bluntwolf

Bluntwolf ist ein Filmliebhaber aus der goldenen Mitte Deutschlands. Sein Spezialgebiet ist das italienische Kino der 60er bis 80er Jahre, insbesondere Italowestern, Giallo und Polizio. Er ist der Chefredakteur von Nischenkino und gehört dem Redaktionsteam der Spaghetti-Western Database an.

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